CDs
|
NEUES AUS
DER
MUSIKWELT
von Thomas Hintze
Aus seiner umfangreichen CD-Sammlung
fischt der Jazz-Kenner und -Liebhaber
Thomas Hintze für die STEREO-Leser jeden
Monat die schönsten Schätze. Im Folgenden
widmet er sich den Standards.
M e in e J a z z S ta n d a r d s
„I Want A Little Girl“
U
nter Jazzern aller Epochen
hat sich der Song „I Want A
Little Girl“ so richtig eingenistet,
obwohl Murray Mencher eher zu
den unbekannten Komponisten
gehört. Der Texter Billy Moll war
da schon erfolgreicher, und ich
glaube auch, dass das Fußfassen
im Jazz eher auf den Lyrics als auf
der eingängigen Melodie basiert.
So hatte sich selbst Louis Arms-
trong schon früh dieses Titels
aus dem Jahr
1930
angenommen.
Neben anderen „Oldtimern“ ha-
ben sich auch diverse Bluessän-
ger in dem Text wiedergefunden,
der melancholisch oder auch for-
dernd verstanden werden kann.
Ich glaube, dass in dem Fall die
Sänger den Erfolg dieses Songs
ausmachen, und da steht für mich
der großartige Nat „King“ Cole na-
türlich in der ersten Reihe. Meine
Empfehlung von ihm ist eine CD
mit zwei unterschiedlichen Aufnah-
mesessions, die „At The Sands +
Welcome To The Club“ (Essential
Jazz Classics) titelt. Die „Sands-
Version“ entstand i
960
in Las
Vegas und ist ein typischer Show-
an merkt man sofort, wie wohl
er sich in der Gesellschaft von
Basies Mannen fühlt. Der Ur-
sprung der Aufnahmen liegt beim
Label Capitol, und die Aufnahme-
technik ist ausgezeichnet - insbe-
sondere die der Gesangsstimme.
Die
24
Songs bietden eine große
Auswahl, für jeden Geschmack ist
etwas dabei.
Auch das nächste Beispiel bie-
tet eine exzellente Aufnahme-
technik, und da kann der Meis-
ter des „guten Tons“, Rudy van
Blues-Interpretationen aufgefal-
len, und man kann zu Recht be-
haupten, dass Turrentine und Har-
ris hervorragend zusammenpas-
sen. Eine wunderschöne CD aus
der Blütezeit des Labels Blue No-
te jetzt wieder veröffentlicht bei
Essential Jazz Classics.
Hat Count Basie auf der CD von
Nat „King“ Cole selbst nicht mitge-
spielt, so ist es doch meine Pflicht,
ihn hier mit seiner Version von „I
Want A Little Girl“ selbst vorzustel-
len. Es geht um die Hybrid-SACD
ten aus seiner Big Band wie Thad
Jones (Trompete), Frank Foster (Te-
norsaxofon ) und - eine Besonder-
heit bei Basie - den Flötisten Eric
Dixon. Auch dass Basie im Titel „I
Want A Little Girl“ in die Orgeltas-
ten greift, ist eine Seltenheit, dazu
intoniert Thad Jones mit gestopfter
Trompete und Growl-Effekt die Me-
lodie. Diese Fassung kommt ver-
gleichsweise melancholisch daher,
während die weiteren Titel, unter-
stützt von der großartigen Rhyth-
musgruppe Freddy Green (Gitarre),
Ed Jones (Bass) und Sonny Payne
(Schlagzeug) eher quirlig wirken.
Diese Einspielung zählt sicher zu
den Evergreens Count Basies und
sollte in keiner Sammlung fehlen.
An dieser Stelle muss ich einmal
„fremdgehen“, obwohl so fremd
ist der nun vorgestellte Blueser
mir als Jazzfreund auch wieder
nicht. Für mich zählt Eric Clap-
ton zu den Musikern, die mein Le-
ben bereichert haben. Ich geste-
he aber, dass er sich erst mit sei-
nem „Unplugged“-Album in mei-
ne Favoritenliste gespielt hat. Je-
denfalls darf an dieser Stelle sei-
Nat „King" Cole: At The Sands +
Stanley Turrentine With The Three
Welcome To The Club
Sounds: Blue Hour
COUNT
B A SIE
AND THE
KANSAS
л CITY 7
Count Basie: Count Basie And The
Kansas City 7
Eric Clapton: Reptile
Mitschnitt, für Jazzer eher nicht so
interessant, wäre da nicht Coles
großartiger Vortrag. Schließlich
singt er hier viele seiner großen
Erfolge, und ein wenig Nostalgie
darf schon einmal sein. Der zwei-
te Teil „Welcome To The Club“ ist
von der Stimmung her ganz an-
ders als Las Vegas, denn auf dem
Podium agiert jetzt die Count Ba-
sie Big Band, hier geleitet vom
Arrangeur Dave Cavanaugh. Dass
der „Count“ nicht am Klavier sitzt,
macht der Band im Übrigen nichts
aus. „I Want A Little Girl“ swingt
denn hier auch großartig, wobei
Nat „King“ Cole den Text eher hu-
morvoll nimmt. Vom ersten Ton
Gelder, nicht weit sein. Bei ihm in
Englewood Cliffs nahm i
960
der
Tenorsaxofonist Stanley Turren-
tine mit den „Three Sounds“ die
CD „Blue Hour“ (Essential Jazz
Classics) auf, in diesem Fall ist
das Ursprungs-Label Blue Note.
Turrentines „ I Want A Little Girl“
klingt hier als instrumentale Fas-
sung ganz anders, eher sehr „blu-
esig“ aufgrund Turrentines vollem
expressiven Ton. Hinter den Three
Sounds verbirgt sich übrigens
die Rhythmusgruppe Gene Harris
(Klavier), Andy Simpkins (Bass)
und Bill Dowdy (Schlagzeug). Be-
sonders der Pianist Harris ist mir
schon oft mit seinen großartigen
„Count Basie And The Kansas City
7
“ (Analogue Productions). Da im-
mer mehr Wiederveröffentlichun-
gen auf den Markt drängen, sollte
ich noch das Ursprungs-Label Im-
pulse erwähnen. Diese SACD be-
kommt für herausragende Klang-
qualität einen Stern extra. Kein
Wunder, ist es doch bei Analogue
Productions Standard, die Origi-
nal-Tapes zu verwenden. In puncto
Musik kann man zwar nicht be-
haupten, dass aus Kansas City, der
Geburtsstadt Basies, ein besonde-
rer Jazzstil stammt, aber typisch ist
die Art zu spielen, dieser unbändi-
ge Swing. Neben Basie am Klavier
finden wir so hervorragende Solis-
ne Aufnahme von „I Want A Little
Girl“ nicht fehlen, erschienen ist
sie auf der CD „Reptile“ (Repri-
se). Da ich eingangs erwähnt hat-
te, dass sich diverse Bluessänger
des „Girls“ angenommen hatten,
wollte ich das auch an einem gu-
ten Beispiel darlegen, sonst hätte
ich ein schlechtes Gewissen ge-
habt. Die ganze Darbietung hat
etwas großartig Erdiges, was den
Blues oft auszeichnet. Dass diese
wichtige Stilrichtung heute noch
so klingen kann, beruhigt mich.
Die begleitenden Musiker kenne
ich nicht näher, aber sie spielen
wunderbar. Viel Spaß beim Hö-
ren, Ihr Thomas Hintze.
144 STEREO 10/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht